10. November 2017

LMV November 2017: Für einen säkularen Umgang mit religiösen Feiertagen



Ein Tanzverbot ist vor dem Hintergrund eines säkularen Staates und der Trennung von Staat und Kirche nicht mehr zeitgemäß. Dabei muss jedoch klar sein, dass Art. 4 GG in der Form der freien Religionsausübung nicht beeinträchtigt werden darf. Die Bevorzugung der christlichen Feiertage gegenüber den Feiertagen anderer Religionsgemeinschaften entspricht nicht unseren Vorstellungen von Gleichberechtigung bzw. Gleichstellung. Darüber hinaus würden wir statt religiöser Feiertage eher säkulare Gedenk- und Feiertage begrüßen. Auch eine Aufwertung anderer Religionen, indem Feiertage aller Religionen aufgenommen würden, stehen wir kritisch gegenüber. Die religiöse Praxis sollte keinen Einfluss auf den öffentlichen Raum haben.

Die GRÜNE JUGEND Hessen erkennt an, dass Religion und die freie Ausübung dieser im Rahmen geltender Gesetze nicht nur grundgesetzlich verankert ist, sondern wir diese Möglichkeit auch als Anspruch einer toleranten und demokratischen Gesellschaft verstehen. Deswegen sollte es jedem*r freistehen, an religiösen Feiertagen freizunehmen, um entsprechend der individuellen Religionsausübung den Feiertag begehen zu können. Eine Abschaffung der religiösen Feiertage muss – auch vor dem Hintergrund der strikten Trennung von Staat und Kirche – zwingend mit einer entsprechenden Sensibilität für Religion als gesellschaftlich tolerierte Privatsache einhergehen.

1. Säkulärer Staat – Religion ist Privatsache

Die GRÜNE JUGEND Hessen erkennt die religiöse und durch die Tradition auch gewachsene kulturelle Bedeutung von religiösen Feiertagen an – auch wenn sich dies oft nur in breiter Akzeptanz für freie Tage zeigt. Natürlich sind religiöse Feiertage keine Willkür, sondern von immenser Bedeutung für den Glauben und das religiöse Ritual der Gemeinschaft, jedoch sollte dieser religiöse Moment privat sein. Die freie Aus- oder Nichtausübung von religiösen Feiertagen in welcher Form auch immer sollte jedem Menschen als privates Handeln zustehen, dafür schafft der Staat auch einen Schutzbereich. Darüber hinaus bedarf es in dem Bereich keiner öffentlichen Regelung, solange die Religionsausübung nicht gefährdet wird.

2. Unbegründete Bevormundung durch die christliche Wertegemeinschaft

Derzeit (2015) sind 59% Prozent der hessischen Bevölkerung katholisch oder evangelisch. Bundesweit sind es aktuell 56%. Sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene ist die Tendenz klar sinkend: So waren es im Jahr 2001 noch 64% der Bürger*innen. Nach den Feststellungen des Hessischen Statistischen Landesamtes wurden im Jahr 2010 in Hessen 9.494 Kinder katholisch sowie 17.389 Kinder evangelisch getauft; dem stehen auf katholischer Seite 15.081 Bestattungen sowie 13.360 Kirchenaustritte und auf evangelischer Seite 31.043 Bestattungen und 12.989 Kirchenaustritte gegenüber; mithin verbleibt auf katholischer Seite ein Negativsaldo von 18.947 Personen und auf evangelischer von 26.643 Personen (VG Gießen Urt. v. 25.10.2012 – 4 K 987/12). Angesichts dieser Entwicklung zeichnet sich ab, dass die derzeit absolute Mehrheit eines christlichen Bekenntnisses in der hessischen Bevölkerung zu einer nur noch relativen Mehrheit werden wird.
Trennt man die Konfessionen nach katholisch (28,9%) und evangelisch (27,1%) auf, so stellt die Gruppe der konfessionslosen Menschen mit 36% schon heute die relative Mehrheit in Deutschland dar. In Kombination mit der weltanschaulichen Neutralität des Staates und des Bundeslandes Hessen ergibt sich daraus keine Begründung für ein unbedingtes Festhalten an der Vorschrift, ohne die Option einer Neugestaltung in Form einer Lockerung.

Ein Festhalten an Zwängen und Vorschriften, die aus christlichen Feiertagen abgeleitet werden, ist daher unangemessen. Zwar sind einige Feiertage mittlerweile gesellschaftlich weitgehend von ihrer religiösen Bedeutung abgespalten und werden eher in einem kulturellen Sinne begangen (Osterfeuer, Weihnachtsmärkte…), doch ergibt sich daraus trotzdem keine schlüssige Begründung dafür, dass Menschen ohne christlichen Glauben von Bestimmungen der christlichen Religion betroffen sind. Das gilt im Übrigen auch für Zwänge anderer Religionen, wie zum Beispiel Alkoholverbote in bestimmten Zeiten. Wir erkennen jedoch an, dass Religionsgemeinschaften, religiöse Rituale und damit einhergehend gewisse Feiertage für Einzelpersonen eine Bedeutung haben.

3. Gesamtgesellschaftliche Feier- und Gedenktage – für alle

Innerhalb einer Gesellschaft ist es selbstverständlich, dass gemeinsame Feiertage bestehen oder gemeinsam festgelegt werden. Dabei kann Raum für Gedenken und Gedanken geschaffen werden. Wir sollten uns als GRÜNE JUGEND Hessen und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hessen gemeinsam für eine sensible, reflektierte Erinnerungskultur in Deutschland einsetzen. Säkuläre Gedenktage sollten also unter Mitsprache verschiedener zivilgesellschaftlicher Gruppen wie z. B. Gewerkschaften oder Minderheitenvertretungen festgelegt werden und einen ähnlichen Status erhalten wie Feiertage derzeit. Perspektivisch begrüßen wir auch gemeinsame Europäische Feier- und Gedenktage. Es ist nicht nachvollziehbar, dass Gedenktage historischer Ereignisse wie der 9. November (Reichspogromnacht) oder der 8. Mai (Tag der deutschen Niederlage im 2. Weltkrieg) als Gedenktage
derzeit einen weniger bedeutenden Status als Feiertage einnehmen, dagegen aber ein Hochfest des Leibes und des Blutes Christi gefeiert wird (Fronleichnam).

Forderung

Für die GRÜNE JUGEND Hessen ergeben sich daraus verschiedene Forderungen. Wir fordern eine eine vollständige Aufhebung des Tanzverbotes an den im Hessischen Feiertagsgesetz vorgesehenen Feier- und Gedenktagen. Damit jedoch bei konkreten Konflikten keine zeitraubenden Gerichtsentscheidungen abgewartet werden müssen, könnte eine „Absicherung“ durch
Verwaltungsvorschriften o. ä. erfolgen. In diesen könnte dann der Durchführung von religiösen Aktivitäten an den Feiertagen Vorrang gewährt werden, insofern die Ausübung der Religionsfreiheit ansonsten durch säkulare Veranstaltungen gestört werden würde, d.h. es würde sich schlussendlich nur auf die wirklich relevanten Einzelfälle konzentriert, als Verbotsdogma würde das Tanzverbot
jedoch im Hessischen Feiertagsgesetz eliminiert.



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