30. Oktober 2022

LMV Oktober 2022: Games made in Hessen: Fair Play im Gaming und Exzellenz im E-Sport



Games made in Hessen

E-Sport begeistert die Menschen, Let’s Plays sind erfolgreich als Unterhaltungsform etabliert und Videospiele werden anspruchsvoller, vielfältiger und für jede Bevölkerungsgruppe attraktiv. Die „Interactive Software Federation of Europe“ beziffert die Anzahl der Gamer*innen in Europa für 2021 auf über 124 Mio. Menschen.[1] Allein in Deutschland spielen 2022 fast 60% der 6- bis 69-Jährigen Videospiele.[2] Parallel dazu wird die Gruppe der Gamer*innen diverser und Games sprechen immer mehr Altersgruppen an. Die Szene wächst durch das Bedienen zahlreicher Ansprüche, während das Thema Gaming längst gesellschaftliche Relevanz erreicht hat. Gaming ist heute das komplexeste Medium unserer Zeit und kulturelle, kreative wie soziale Ressource für alle Teilnehmer*innen – nicht erst seit der Pandemie und gerade währenddessen in unerreichtem Ausmaß.

Wirtschaftlich betrachtet erzielten Games-Studios 2021 einen Umsatz von 23,3 Mrd. € in Europa, mit fast 100.000 Arbeitsplätzen in der Branche – über 10.000 davon in Deutschland.[3] Aus der Europäischen Union werden aktuell von CD Projekt in Polen, Ubisoft in Frankreich und Crytek in Deutschland Welterfolge exportiert. Jährlich treffen sich in Deutschland Hunderttausende Menschen auf der Gamescom in Köln, zu einer der bedeutendsten Videospiel-Messen der Welt. In Frankfurt am Main gründete sich 2017 der „eSport-Bund Deutschland e.V.“ (ESBD) mit heute über 60 Mitgliedorganisationen in Deutschland.[4] Hessen ist derzeit Europastandort für Nintendo, Konami, Sony, BandaiNamco, Crytek, Zenimax und mehr. Gleichzeitig wird die Games-Branche substanziell von der immensen Innovationskraft kleiner und mittlerer Unternehmen geprägt, die auch in Hessen ansässig sind. Ein Potenzial, das von Politiker*innen weitgehend ausgeblendet und versäumt wird.

Leider zeigten in jüngerer Vergangenheit Demokratiefeind*innen Interesse an der Games-Branche: bereits 2019 wurde in Hessen das Thema Gaming von der AfD im Landtagsplenum auf die Tagesordnung gesetzt.[5] Dort konnte sich die AfD öffentlichkeitswirksam gegenüber der konservativen CDU als vermeintliche Fürsprecherin der Gamerinnen inszenieren. Aktuellere Vorgänge sind 2022 aus Spandau bekannt, wo Vorstöße der lokalen AfD-Fraktion vom europaweit bedeutenden E-Sport-Verband „Eintracht Spandau“ mit einem klaren Bekenntnis zu Vielfalt, demokratischer Grundordnung und Eintracht zurückgewiesen wurden.[6] Der 2021 gegründete E-Sport-Verein „Eintracht Spandau“ ist eindrucksvoll Beweis dafür, welche Bedeutung E-Sport für die Fans gewonnen hat und welche Rolle Vereine dabei einnehmen: hier versammeln sich Menschen aller Altersgruppen, die online wie offline ihre Begeisterung teilen, ihre Teams bei internationalen Wettkämpfen anfeuern und Erfolge feiern, während sie gleichzeitig Netzwerke bilden und sich im Verein und darüber hinaus engagieren. Gaming und E-Sport sind in Alltag und Politik angekommen.

Nach jahrelanger Vernachlässigung der Games-Branche durch Politiker*innen auf sämtlichen Ebenen, wurde auf Bundesebene 2020 unter CDU/CSU-SPD-Regierung ein Förderprogramm über 50 Mio. € für die deutsche Videospielentwicklung ins Leben gerufen. Gleichzeitig hat das Bundesverkehrsministerium 2021 eine deutsche Gaming-Strategie „Games made in Germany“ vorgestellt. [7] Die Förderung endet 2023, ohne dass die aktuelle Bundesregierung bisher eine Fortführung in Aussicht gestellt hat. Auf europäischer Ebene steuert die EU jährlich insgesamt 6 Mio. € für die 27 Mitgliedstaaten zur Videospielentwicklung bei.[8] Doch auch die Bundesländer bieten eigene Förderprogramme, mit jährlichen Fördersummen von 600.000 € in Hamburg, 2,5 Mio. € in Bayern und 3 Mio. € in Nordrhein-Westfalen.[9] Hessen stellte 2021 zur Förderung von sog. „Serious Games“ (Games dezidiert als Therapie-/Lehrmittel) erstmalig 325.000 € zur Verfügung, 2022 waren es 200.000 €.[10] Ebenfalls 2021 positionierte der Verband der deutschen Games-Branche „Game e.V.“ das Land Hessen im Ranking der innerdeutschen Games-Förderung, basierend auf dem politischen Engagement der Länder für die Games-Branche, auf dem vorletzten Platz.[11] Im hessischen Koalitionsvertrag von 2019 ist die Verwirklichung einer „Indie-Games-Messe“ anvisiert.[12] Die Realisierung der Messe steht bis heute aus. Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir gab im Juni 2021 an, Hessen wäre ein starker Gaming-Standort in Deutschland.[13] Die Ansiedlung der internationalen Games-Industrie steht jedoch in keinem direkten kausalen Zusammenhang mit dem Förderprogramm „HESSEN serious GAME“ der Landesregierung, welches seit 2021 lediglich das Nischenprodukt „Serious Games“ fördert.[14] Der hessische Interessenverband gamearea Hessen e.V. bringt die Kritik in seiner Stellungnahme zum Ausdruck: „[Die Förderung] kommt […] um Jahre zu spät und greift inhaltlich deutlich zu kurz. Wir verpassen wichtige Chancen, […] wenn wir nicht konsequent alle Konzepte und Inhalte der Games-Branche als förderfähig betrachten. Hessen bleibt im Vergleich zu anderen Bundesländern weiterhin ein unattraktiver Standort.“[15]

Wir als Grüne Jugend Hessen fordern:

Eine positive Games-Szene für Gamer*innen und Entwickler*innen

Das Ziel einer sicheren, positiven und inklusiven Games-Szene muss die Grundlage jeden politischen Handelns auf diesem Gebiet bilden. Respekt, Diskriminierungsfreiheit und Inklusion müssen für alle Teilnehmer*innen in Hessen in vollem Umfang gelten. Dazu zählen insbesondere Fair Play im E-Sport, Geschlechtergerechtigkeit, Jugendschutz, Aufklärung über Suchtgefahr und Bekämpfung von Hate-Speech, Cyber-Mobbing und Sexismus. Wegweisend hierfür sind bereits aus der Gaming-Szene gegründete Initiativen, wie „Hier spielt Vielfalt“ von Game e.V. oder „Gender Diversity in Esports“ vom ESBD, welche Hessen aufgreifen und unterstützen muss. Hessen muss strikt gegen jede Form der Integration von zahlungspflichtigen Glücksspielelementen in Videospielen vorgehen. Gaming Disorder bei Spieler*innen muss konsequent benannt und ernsthaft behandelt, bestenfalls mit Präventionsprogrammen und durch z.B. ausgebildete E-Sport-Trainer*innen in Vereinen und das Vermitteln von Digital- und Medienkompetenzen in Schulen vorgebeugt werden. Der Anteil an Frauen in der Spieleentwicklung muss erhöht, sog. „Crunch“ (Überlastung der Entwickler*innen insb. durch Zeitdruck) bei Spieleentwicklungen muss verhindert und faire Arbeitsbedingungen für alle Entwickler*innen müssen in Hessen garantiert werden.

Anerkennung der Gemeinnützigkeit von E-Sport

Hessen soll sich auf allen Ebenen für die Anerkennung der Gemeinnützigkeit des E-Sports einsetzen. Den Millionen Fans des E-Sport in Deutschland muss auch in Hessen eine Vereinsperspektive geboten werden, ohne dass die Vereine den Entzug der Gemeinnützigkeit fürchten müssen, welcher ihnen aktuell mit dem Aufbau von E-Sport-Abteilungen droht. Hierfür ist die Frage, ob E-Sport Sport ist, völlig unerheblich. Die Gemeinnützigkeit soll unabhängig von dieser Frage umgesetzt werden. Viel eher muss sich Hessen für einen faktenbasierten Austausch zwischen Vertreter*innen des alten Sports (A-Sport) und des E-Sports einsetzen und einen auf Annäherung abzielenden Dialog fördern.

Umfangreiche Landesförderung für Entwickler*innen in Hessen

Die landeseigene Förderung für Videospielentwicklung muss eine langfristige Planungssicherheit durch zugängliche, angemessene und zu verstetigende Fördermittel ermöglichen. Mit einem weiteren Fokus auf sog. „Serious Games“ wird Hessen der Vielfalt der Gaming-Branche nicht gerecht. Der drohende Anschlussverlust Hessens im nationalen und internationalen Vergleich bei der Games-Förderung muss verhindert werden. Kommende Förderungen müssen finanziell und strukturell deutlich über die bisherige Games-Förderung in Hessen hinaus gehen. Die Entwickler*innen müssen in ihrer Arbeit durch Vernetzung, Sicherheit des Arbeitsplatzes, Schutz vor Diskriminierung und Freiheit in der Gestaltung ihres Spiels gestärkt werden. Dabei sollen gerade die Entwicklerinnen in kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) unabhängig des Erfolgs ihrer Produkte durch starke und wertschätzende Strukturen in Hessen gefördert werden. Es gilt, ihre Kompetenzen für den Standort Hessen nachhaltig zu gewinnen. Interessenverbände wie gamearea Hessen e.V., aber auch bereits vom Land geförderte Entwickler*innen sollen in enger Beratungsfunktion für die Ausgestaltung der Games-Förderung in Hessen eingebunden werden. Das Land Hessen muss die Förderung für Videospielentwicklung an die Bedingung der absoluten Diskriminierungsfreiheit in den geförderten Games knüpfen. Es müssen Förderungen angeboten werden, die explizit Entwicklungsstudios mit mindestens 50% an Entwicklerinnen mit Diskriminierungserfahrungen und FINTA*-Personen zur Verfügung stehen, um der Vielfalt der Gesellschaft gerecht zu werden und alle Perspektiven im Gaming zu integrieren.

Bekenntnis des Landes Hessen zum E-Sport

Angesichts der herausragenden gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Relevanz von E-Sport muss Hessen bestmögliche politische Rahmenbedingungen für den E-Sport in Hessen schaffen. Hessen braucht eine digitale Infrastruktur, die dem E-Sport Entfaltung ermöglicht und Maßstäbe in Barrierefreiheit sowie ökologischer Nachhaltigkeit setzt. Hessens E-Sport-Vereine wie der 1. EC Frankfurt als auch E-Sport-Abteilungen wie beim KSV Baunatal sind finanziell zu fördern und müssen bei der technischen Ausrüstung und der Ausbildung der Fachkräfte unterstützt werden. Dafür ist insbesondere die Entwicklung einer landeseigenen Games-Strategie des Landes Hessen unabdingbar. Nur so bietet Hessen E-Sportler*innen, Gamer*innen und Entwickler*innen langfristig Sicherheit und Anerkennung. Hessen muss heute die Grundsteine für eine erfolgreiche Zukunft als E-Standort legen.

[1] https://www.isfe.eu/news/europes-video-games-industry-publishes-annual-key-facts-report-authoritative-data-and-engagements-from-2021/

[2] https://www.game.de/marktdaten/rund-6-von-10-deutschen-spielen-games-2/

[3] https://www.isfe.eu/news/europes-video-games-industry-publishes-annual-key-facts-report-authoritative-data-and-engagements-from-2021/

[4] https://esportbund.de/verband/ueber-den-esbd/

[5] https://starweb.hessen.de/cache/PLPR/20/2/00022.pdf

[6] https://twitter.com/EinSpandau/status/1564655311058763777

[7] https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Pressemitteilungen/2021/070-scheuer-gamesstrategie-des-bmvi.html

[8] https://culture.ec.europa.eu/sites/default/files/2022-01/creative-europe-2022-work-programme-c_2022_36_f1.pdf

[9] https://www.game.de/games-branche-bewertet-bayern-berlin-und-nordrhein-westfalen-als-die-besten-standorte-in-deutschland/

[10] https://wirtschaft.hessen.de/Presse/Land-steigt-in-Computerspielefoerderung-ein

[11] https://www.game.de/games-branche-bewertet-bayern-berlin-und-nordrhein-westfalen-als-die-besten-standorte-in-deutschland/

[12] https://www.gruene-hessen.de/regierung/files/2019/10/Koa-Vertrag-WEB-Tags.pdf

[13] https://starweb.hessen.de/cache/DRS/20/7/05457.pdf

[14] https://www.wibank.de/wibank/gruender-unternehmen/kreativ-und-gamesfoerderung/hessen-serious-game-549058

[15] https://www.gamearea-hessen.de/post/erwartungen-nicht-erf%C3%BCllt-gamearea-hessen-nimmt-stellung-zum-f%C3%B6rderprogramm-hessen-serious-game



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