22. Juni 2011

Offener Brief des Landesvorstandes der Grünen Jugend Hessen zum Thema Atomausstieg



Liebe Freundinnen und Freunde,

sicherlich habt Ihr die Debatten um den Atomausstieg der Bundesregierung verfolgt. Nächsten Samstag wird auf dem Sonder-Parteitag darüber abgestimmt, ob wir den Vorschlägen der Bundesregierung zustimmen oder ob wir gegen die acht Gesetzesentwürfe stimmen. Eine umfassende Debatte darüber erscheint uns als sehr notwendig, da der der Atomausstieg als eines der Gründungsmotive der GRÜNEN gilt.
Die Kriterien des Ausstiegs sowie die Gesetzesentwürfe werden momentan sehr genau geprüft und die Entscheidung über die Zustimmung oder Ablehnung bei diesem Gesetz wird nicht einfach. Anders als die Sozialdemokraten haben wir nicht sofort und ohne die Frage nach der Umsetzung unsere Zustimmung bekundet. Eine Blockadehaltung á la Linkspartei ohne sich die Möglichkeit offen zu halten, dieses Gesetz mit zu gestalten, liegt uns ebenso fern. Das alles zeigt, dass der Ausstieg aus der Atomkraft für uns Grüne nicht irgendein Thema, sondern ein großes Anliegen ist. Das wissen die Bürgerinnen und Bürger und gerade deshalb genießen wir bei dieser Frage auch großes Vertrauen in der Bevölkerung.

Ihr fragt Euch sicherlich, wie der Landesvorstand der Grünen Jugend Hessen zu diesem Thema steht. Auch wir haben uns die Entscheidung nicht einfach gemacht und in den letzten Wochen ausführlich und kontrovers darüber diskutiert.
Als die ersten Umrisse des Atomgesetzes bekannt wurden, waren wir alle sehr skeptisch. Weder konkrete Ausstiegsdaten noch die Behebung der Sicherheitsmängel der noch laufenden AKWs oder die Regelungen der Reststrommengen wurden hier berücksichtigt. Außerdem setzte die Bundesregierung beim Ausbau der erneuerbaren Energien nicht auf die Dezentralität, das Kernstück des EEGs. Diese aus unserer Sicht zentralen Punkte haben uns veranlasst die Zustimmung eines Gesetzes mit diesen Kriterien nicht zu geben.

Nach weiteren Verhandlungen und unter maßgeblichem Einwirken des GRÜNEN Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann sind nun Änderungen an diesen Gesetzen vorgenommen worden. So wird in einem Stufenplan für jedes AKW ein konkretes Ausstiegsdatum benannt, die letzten werden im Jahr 2022 vom Netz gehen. Es wird nicht möglich sein, Reststrommengen zu übertragen. Zur so genannten Kaltreserve sollen nicht Atomkraftwerke dienen, sondern ausschließlich Kohle- bzw. Gaskraftwerke.

Dass es diese Änderungen an diesem Gesetz gab ist zum größten Teil auch ein GRÜNER Erfolg. Die Bemühungen von Winfried Kretschmann bei den Verhandlungen waren maßgeblich dafür verantwortlich, dass elementare Änderungen herbeigeführt worden sind.
Nach diesen Änderungen wurden die Karten neu gemischt und der Novelle des Atomgesetzes, welche den Ausstieg aus der Kernenergie 2022 vorsieht, müssen die GRÜNEN jetzt aus unserer Sicht zustimmen. Für uns steht das Datum nicht an erster Stelle, wichtig ist, dass die Rahmenbedingungen und der Weg zu einem endgültigen Atomausstieg gesichert sind.

„Der Ausstieg wird umso besser gelingen, wenn er zu einem Aufbruch und Aufstieg wird und wenn das Gemeinschaftswerk „Energiezukunft Deutschlands“ übergreifend von allen politischen Parteien getragen wird.“ Diesem Auszug aus dem Abschlussbericht der Ethikkommission stimmen wir zu. Einen überparteilichen Beschluss halten wir für erstrebenswert, da er eine höhere Unumkehrbarkeit bedeutet und der Ausstieg aus der Atomenergie dadurch ein gemeinsames, klares Signal zur Energiewende sendet. Wirtschaft und Gesellschaft können sich auf den Atomausstieg verlassen.
Auch wenn wir überzeugt sind, dass ein Atomausstieg bis 2017 machbar ist, ist der überparteiliche Beschluss für uns ein hohes Gut, für das wir bereit wären, dem Jahr 2022 als Kompromiss zuzustimmen.

Gleichzeitig stellen wir fest, dass die meisten anderen Gesetzesentwürfe nicht ausreichend sind und schon gar keine energiepolitische Wende in Deutschland einläuten.
Die Punkte die unserer Meinung nach verbesserungswürdig sind:

Die rechtliche Grundlage für dieses Gesetz muss garantiert sein.
Die vier großen Atomkonzerne prüfen bereits eine Klage. Hier steht die Frage im Raum, ob die Reststrommengen als privates Eigentum gelten. Sollte sich dies vor einem Gericht bestätigen, ist ein Ausstieg bis 2022 nicht garantiert. Generell muss dieses Gesetz sich einer Prüfung unterziehen, bei dem sichergestellt werden kann, dass die Ausstiegsdaten eingehalten werden. Der Atomausstieg muss unumkehrbar gestaltet werden!

Die Dezentralität beim Ausbau der erneuerbaren Energien muss gewahrt werden. Dieser Punkt ist für Hessen elementar. Das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) darf nicht zum Vorteil von großen Anlagen novelliert werden, sondern muss weiterhin die Dezentralität fördern. Einem Gesetzesentwurf, welcher vorrangig Offshore-Windanlagen und große Biogasanlagen fördert, sowie eine Deckelung für die Förderung von Photovoltaik vorsieht, kann so nicht zugestimmt werden. Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist maßgeblich für den Atomausstieg und darf nicht durch die Gesetzesnovellierung in die Hände der Energiekonzerne gelegt werden.

Sicherheit der Meiler muss garantiert werden.
Bis zu der Zeit der Abschaltung müssen die Sicherheitskriterien der Meiler neu bestimmt werden. Hier erachten wir die Einführung des kerntechnischen Regelwerks für unabdingbar. Diese bzw. die künftige Regierung muss sich diesem Thema annehmen.

Energieforschungshaushalt: Forschungsschwerpunkt weg von Atomenergie hin zu Erneuerbaren und Speichertechnologien.
Die Forschungsgelder für Atomenergie wurden nach dem Antritt von Schwarz-Gelb noch einmal kräftig erhöht und wurden im Energieforschungshaushalt auf über 233 Millionen Euro festgelegt. Dazu kommen weitere 251 Millionen Euro für die Beseitigung von kerntechnischen Anlagen und viele weitere Millionen für projektbezogene Forschung. Dieser Forschungsschwerpunkt setzt falsche Anreize und die öffentlichen Gelder werden zur Erforschung von Speichertechnologien oder Effizienzsteigerungen bei Erneuerbaren Energien viel dringender benötigt.

Kein weiterer Ausbau von Kohlekraftwerken
Der Ausstieg aus der Atomenergie in Deutschland darf nicht den Bau neuer Kohlekraftwerke legitimieren. Zahlreiche unabhängige Studien belegen, dass die Energiewende mit Atomausstieg und ohne zusätzliche Kohlekraftwerke möglich ist. 2011 wurde weltweit so viel CO2 ausgestoßen wie nie zuvor. Das 2-Grad-Ziel kann erreicht werden und ist mit Versorgungssicherheit in Deutschland vereinbar. Zur Sicherung der Grundlast eignen sich flexible Gaskraftwerke, die vielerorts schon in Planung sind.

Einsparungen und Effizienz fördern
Eng verknüpft mit dem Thema Atomausstieg ist die Stromeinsparung durch verändertes Verhalten, technischen Fortschritt und Effizienzsteigerung. Ein Viertel der Primärenergie lässt sich allein durch Effizienzsteigerung einsparen, jedoch wird von der Bundesregierung wenig getan um diese Potenziale zu erschließen. Die Förderungen des Gebäudesanierungsprogramms beispielsweise wurden im letzten Jahr erheblich gekürzt, wodurch weit weniger energetische Sanierungen durchgeführt wurden als geplant. (Diese Förderungen bescheren dem Staat mehr Steuereinnahmen als sie ihn kosten, da die daraus resultierenden Investitionen höher sind als die Programmkosten selbst.).

Gesicherte Rahmenbedingungen
Die Energiewende benötigt gesicherte und langfristig feststehende Rahmenbedingungen. Unabsehbare Degressionen und Änderungen der Einspeisevergütung und des EEGs, schnell und oft wechselnde Schwerpunkte im Bereich der Förderung und in der Richtung verunsichern die Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft und Investitionen werden nur zögerlich oder gar nicht getätigt. Für eine schnelle Energiewende ist aber eine hohe Investitionssumme notwendig, weshalb den Akteuren durch einen transparenten und festgelegten Kurs der Politik Handlungssicherheit gegeben werden muss.

Auch der Leitantrag zum Sonderparteitag der Grünen am Samstag kritisiert die Punkte, die uns wichtig sind, kommt aber zu dem Schluss, dass wir dem Gesetzesvorschlag der Bundesregierung zustimmen können.
Diese Meinung teilen wir, weshalb wir dem Antrag des Bundesvorstandes zustimmen.
Trotzdem werden wir weiter dafür kämpfen, dass unsere Kritikpunkte verbessert werden um eine wahre Energiewende auf den Weg zu bringen.

Viele Grüße,
der Landesvorstand der Grünen Jugend Hessen
Benjamin, Kaya, Philip, Lysanne, Alexander, Sandra und Eva



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