8. Juli 2020

LaBei Juli 2020: Die Krise als Chance begreifen



In den letzten Monaten haben wir eine globale Krise erlebt, welche uns wie ein Brennglas auf die bestehenden Probleme in unserer Gesellschaft aufmerksam gemacht hat. Die Probleme unserer Zeit, wie soziale Ungleichheit, patriarchale Strukturen sowie global ungleiche Machtstrukturen, wurden in diesen Krisenzeiten deutlich. Dabei ist eins klar:

Die Lösung der Corona-Krise und die Bekämpfung des Coronavirus kann nur gemeinsam gelingen. Es braucht nicht nur kluge Entscheidungen der Politik, sondern eine solidarische Zivilgesellschaft. Über unser Zusammenleben nach dieser Krise wird jetzt entschieden! Die GRÜNE JUGEND Hessen fordert deswegen jetzt ein Mit-Denken bei allen Maßnahmen in der Krise und ein Neu-Denken des Systems.

Soziale Gerechtigkeit konsequent mitdenken

Auch wenn alle zumindest vordergründig gleich an der Pandemie gelitten haben, so sitzen wir doch nicht alle im gleichen Boot, denn Krisen treffen vor allem die sozial Schwächsten der Gesellschaft! Von Armut und sozialer Ausgrenzung sind besonders Kinder, Ältere, Alleinerziehende und Langzeitarbeitslose betroffen. Armut macht krank, und die berechtigte Sorge um den Verlust des Arbeitsplatzes ist nicht gesund.

Aber auch junge Menschen in Ausbildung trifft die Krise hart. Viele Studierende haben bereits in den ersten Wochen der Krise ihren Job verloren und wissen häufig nicht mehr, wie sie die Wohnung oder Krankenversicherung in den nächsten Monaten zahlen sollen. Die Unterstützung der Studierende von Seiten des Bundes sind bei weitem nicht ausreichend. Schüler*innen haben unter schweren Bedingungen ihre Abschlussprüfungen geschrieben und Auszubildende hatten lange Zeit Ungewissheit, ob sie übernommen werden. Hier muss es auch finanzielle Auffangmöglichkeiten geben. Diese Krise wird auch die junge Generation und ihre Chancen und Möglichkeiten stark prägen.

Alle Maßnahmen, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Art sollten, jenseits von Lobbyinteressen, denen am meisten zu Gute kommen, die am meisten verloren haben.

Geschlechtergerechtigkeit konsequent mitbedenken

In der Krise wurde deutlich, dass unsere Gesellschaft noch einen weiten Weg hin zur Gleichheit der Geschlechter zu gehen hat. Sobald die Phase des Homeoffice begann und die Kitas und Schulen schlossen, mussten viele Frauen* aus dem Homeoffice heraus die gesamte Care-Arbeit, also neben der Ausübung des Berufes auch die Betreuung der Kinder, die Erziehung und Bildung dieser, sowie die sonstige unbezahlte Care-Arbeit erledigen.

Wir brauchen endlich einen Aufbruch in ein neues Zeitalter.

Geschlechtergerechtigkeit ist erst dann erreicht, wenn wirklich alle Geschlechter ihrer individuellen Berufung nachgehen können und Care-Arbeit zwischen den Geschlechtern gerecht aufgeteilt wird.

Die Corona-Pandemie bedeutete aber vor allem ein Sicherheitsrisiko für Frauen*.

Zu Hause bleiben galt als das Gebot der Stunde, doch viele Frauen* und Kinder sind genau dort nicht sicher. Die Enge im eigenen Zuhause, sich nicht aus dem Weg gehen zu können, fördert Konflikte und führt häufig zur Steigerung der Aggressivität, welche sich leider sehr oft in Gewalt gegen Frauen* und Kinder äußert. Auch Rückzugs- und Schutzorte für Frauen* und Kinder fielen in Zeiten von Quarantäne immer mehr weg.

Seit Beginn der Corona-Pandemie hat der Bedarf an Plätzen in Frauen*häusern verschärft zugenommen, Beratungsstellen sind überlastet und persönliche Beratung war aufgrund von Ansteckungsgefahr fast nicht mehr möglich. Aber auch vor der Krise beklagten viele Beratungsstellen und Frauen*häuser starke finanzielle Defizite. Die Entwicklungen in der Krise verdeutlichen umso mehr, dass wir eine gesicherte Finanzierung und den stärkeren Ausbau von Frauen*häusern, Beratungsangeboten und schnellerer unkomplizierter Hilfe brauchen.

Klimaschutz mitdenken

Die starke Eindämmung bis hin zur kompletten Stilllegung mancher Industriezweige reduzierte enorm den CO²-Ausstoß der ganzen Welt und zeigte einen deutlichen Rückgang der Luftverschmutzung. Dies beweist einmal mehr die dringende Notwendigkeit einer ökologischen-sozialen Wende. Trotzdem wird in den aktuellen politischen Debatten die Wiederbelebung der Wirtschaft über die Erhaltung der Umwelt gestellt. Klimaschutzmaßnahmen sind dabei kein „nice to have“, sondern die existenzielle Sicherheitsmaßnahme gegen die weltweit größte bevorstehende Krise. Für uns als GRÜNE JUGEND Hessen ist klar: Bei sämtlichen Maßnahmen muss der Kampf gegen die Klimakrise die wichtigste Rolle einnehmen, denn die Auswirkungen von Covid 19 sind nur ein Bruchteil derer, die uns bei einer weiteren Erderwärmung drohen. Sämtliche Förderprogramme für die Wirtschaft müssen immer an ökologische Prinzipien gekoppelt werden.

Alle Maßnahmen in der Krise müssen dazu beitragen, eine sozialere, gerechtere und ökologischere Zukunft zu gestalten. Das bedeutet auch, dass wir die Chance dieser Krise nutzen sollten, um um- und neuzudenken.

Arbeit neu denken

Die Krise hat die Debatte um die Gesellschaftsrelevanz bestimmter Berufsgruppen neu befeuert. Es wurde deutlich, dass unsere Gesellschaft ohne die vielen Menschen in der [unbezahlten] Sorgearbeit, dem Einzelhandel und vielen anderen unterbezahlten Berufsfeldern nicht überlebensfähig ist. Berufstätige in diesen Bereichen erfuhren zu wenig bis keine Anerkennung für ihre wertvolle Arbeit. Das einmalige Klatschen von den Balkonen während der Corona-Pandemie ist eine gut gemeinte, aber keine sozialgerechte Würdigung. Es ist an der Zeit, dass wir Arbeit neu denken. Wir fordern bessere Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten, höhere Löhne und einen besseren Personalschlüssel insbesondere im Bereich der Care-Arbeit. Der Bonus für Pflegende und das medizinische Fachpersonal ist dabei nur ein Tropfen auf dem heißen Stein und ein symbolischer Akt, welcher mit seiner Kurzfristigkeit nicht die seit Jahrzehnten bestehenden, strukturellen Probleme dieser Gesellschaft behebt. Wir brauchen gestärkte Gewerkschaften, insbesondere in gesellschaftsrelevanten Berufen, die für bessere Tariflöhne und faire Arbeitszeiten sowie eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie kämpfen. Nur so kann den Mitarbeiter*innen endlich der ihn zustehende Respekt entgegengebracht werden.

Darüber hinaus hat uns die Krise gelehrt, wie wichtig die Digitalisierung sein kann, um Erwerbsarbeit nachzugehen. Wir wollen die Möglichkeit des Homeoffice auch nach der Krise beibehalten. Das darf aber nicht zu einem Backlash in der Gleichberechtigung führen. Die Aufwertung von gesellschaftsrelevanten Berufen und eine gleichmäßige Verteilung von Care-Arbeit in der Gesellschaft muss Aufgabe einer sozialgerechten Politik sein.

Wirtschaft umdenken

Die Turbulenzen, die die Corona-Krise im Wirtschaftssystem auslöste, sind immens und noch lange nicht vorbei. Die wirtschaftlichen Fragen dieser Krise betreffen dabei vor allem Arbeiter*innen im Niedriglohnsektor. Über sieben Millionen Kurzarbeitende hat die Krise hervorgebracht. Millionen von Löhne- und Wanderarbeiter*Innen weltweit stehen vor einer existenziellen Krise und einer ungewissen Zukunft. Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland ist und wird durch die Corona-Pandemie weiter ansteigen. Vor allem die Angestellten und Betreiber*innen im Hotel- und Gastrogewerbe, Schausteller*innen und Messemitarbeiter*innen leiden unter den Einnahmeausfällen. Auch die Kunst- und Kulturszene trifft die Krise sehr hart. Kurzarbeit ist ein Mittel zur Krisenbewältigung, die Lasten dieser Krise müssen dabei gerecht verteilt werden.

Der Schutz der Arbeiter*innen sowie die Ermöglichung eines guten Lebens für Alle muss auch in der Krise gewahrt werden. Kurzfristig müssen die eingesparten Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber*innen an die Beschäftigten weitergegeben werden. Kurzarbeiter*innengeld muss auch für Teilzeitkräfte und Minijobber*innen greifen. Für einen langfristigen Wandel bedarf es tiefer greifende Veränderungen. Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens für Alle ist die Grundlage dafür.

Gesundheitspolitik umdenken

Unser Gesundheitssystem hat in dieser Krise bewiesen, dass es ein fundamentaler Bestandteil unserer Daseinsvorsorge ist und kein Spekulationsobjekt sein darf. Die Einsparungsversuche im Gesundheitssystem an den Krankenhäusern, die Kommerzialisierung und Privatisierung von Gesundheitseinrichtungen und der Preiskampf bei Medikamenten und anderen Medizinprodukten führte auch schon vor der Corona-Krise zu einer enormen Überlastung für Pfleger*innen und Ärzt*innen. Schon die Risikoanalyse des Robert-Koch-Instituts 2012 bemängelte die Sparpolitik der Bundesregierung im Gesundheitssystem und drängt damals wie heute auf ein systematisches Neudenken des Gesundheitssystems in Deutschland. Wir brauchen flächendeckend medizinische Versorgungszentren, vor allem im ländlichen Raum. Diese müssen für die Bürger*innen erreichbar sein und vor allem eine gute fachärztliche Versorgung garantieren. Wir brauchen ein Gesundheitssystem, dass den Bürger*innen dient und nicht den kurzfristigen Profitinteressen von Konzernen und Spekulant*innen, die sich durch den Betrieb von Gesundheitseinrichtungen kurzfristige Gewinne erhoffen. Denn gute Gesundheitspolitik ist ein Menschenrecht!

Bildung neu denken

Die Krise hat uns gezeigt, dass wir einen enormen Investitionsstau bei der Digitalisierung des Bildungswesens haben. So sind viele Schulen weder mit dem notwendigen Personal noch mit der notwendigen Hard- oder Software ausgestattet, um im Regelbetrieb arbeiten zu können. Zudem gilt ein Großteil des Lehrpersonals als Risikogruppe, das verdeutlichet auch hier wieder den immensen Mangel an Lehrkräften und Nachwuchspersonal. Diese Situation hat sich während der Schließung der Schulen und der Beschulung von zu Hause noch einmal verschärft. Viele Kinder und Jugendliche, die aus einkommensschwachen Haushalten kommen, hatten keine Möglichkeit, am Schulunterricht im vollen Umfang teilzunehmen. Auch Förderangebote und die Betreuung dieser Kinder konnte nicht gewährleistet werden. Im Falle eines erneuten Lockdowns braucht es dringend bessere Konzepte, die es erlauben, dass Schüler*innen unabhängig ihres Elternhauses auch von zu Hause gute Bildung erhalten und Fördermaßnahmen angeboten werden.

Darüber hinaus stellt die Benotung der Schüler*innen ein Problem dar. Ohne Regelunterricht und ohne Teilhabe am digitalen Unterricht ist eine Benotung der Schüler*innen nicht möglich. Die Abschaffung von Ziffernoten ist genauso wie die Umgestaltung hin zu einem inklusiveren Schulsystem jetzt mehr denn je notwendig.

Wir müssen unser Bildungssystem verändern, allen Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Möglichkeit geben, kostenlose und gute Bildung zu erhalten.

Zukunft Mit- und Neu-Denken

Wir wollen für eine Zukunft streiten, die den Schwung der Digitalisierung mitnimmt und sich an den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts orientiert. Wir wollen ein besseres Bildungssystem und den Kampf für mehr Chancengerechtigkeit vorantreiben. Wir wollen ein Wirtschaftssystem, dass sich an die Bedürfnisse der Menschen anpasst und Arbeit endlich ins 21. Jahrhundert übersetzen. Wir wollen ein Gesundheitswesen, das krisensicher und bedarfsgerecht ist. Wir wollen uns mehr denn je für gerechte Arbeitsbedingungen einsetzen, sowie den Kulturbereich und freie Kulturschaffende stärken.

Wir kämpfen über die Krise hinaus für mehr miteinander und eine sozialere, gerechtere und ökologischere Zukunft!

Beschlossen am 04.07.2020 auf dem digitalen Landesbeirat.



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