8. Juli 2020

LaBei Juli 2020: Racial Profiling und Polizeigewalt stoppen



Weltweit protestieren zehntausende Menschen nach dem Tod von George Floyd gegen Polizeigewalt und Rassismus. Polizeigewalt ist eine Form von Kriminalität, die in jedem Staat in unterschiedlicher Ausprägung zu finden ist. Sie zu leugnen oder auf Einzelfälle zu reduzieren ist ebenso menschenverachtend wie gefährlich.

Polizeigewalt in Deutschland

Die Universität Bochum hat laut eigener Forschung festgestellt, dass unrechtmäßige Polizeigewalt in Deutschland deutlich häufiger vorkommt, als bisher bekannt. Demnach gibt es jährlich mindestens 12.000 mutmaßlich rechtswidrige Übergriffe durch Polizeikräfte – und damit fünf Mal mehr als angezeigt. Dabei ist das Dunkelfeld mehr als fünfmal so groß wie das Hellfeld. In Deutschland gibt es jährlich zwischen 2000 und 2500 Ermittlungsverfahren gegen Polizeikräfte. Weniger als 2 Prozent der Ermittlungsfälle münden in ein Gerichtsverfahren. Die Ergebnisse all dieser Befragungen weisen zusätzlich auf einige grundlegende Probleme in der Polizei hin. Denn es gibt systematische Einschränkungen durch die Polizei, die wissenschaftliche Untersuchungen oft verhindert und somit repräsentative empirische Analysen über Rassismus und Rechtsextremismus in der Polizei kaum ermöglichen.

Racial Profiling als Form von Polizeigewalt

Während der vergangenen zwanzig Jahre sind unzählige BIPoC (Black, Indigenous, and/or People of Color) durch Polizist*innen oder in Polizeigewahrsam in Deutschland ums Leben gekommen. Der bekannteste Fall war der Tod von Oury Jalloh, dessen verbrannte Leiche 2005 in einer Gewahrsamszelle einer Polizeiwache in Dessau gefunden wurde. Es gibt aber noch viele andere Fälle, wie von Achidi John, der 2001 in Hamburg nach einer erzwungenen Einnahme von Brechmitteln starb, bis zu Hussam Hussein, der 2016 vor einer Flüchtlingsunterkunft erschossen wurde. Dabei sind diese Skandalfälle nur die Spitze des Eisbergs von illegaler und rassistischer Polizeigewalt, die in der Öffentlichkeit hohe Wellen geschlagen haben. Für BIPoCs sind sie jedoch nur besonders extreme Beispiele ihrer Alltagserfahrung, in der sie allein aufgrund ihrer Hautfarbe, ethnischen Merkmale oder religiösen Kennzeichnung verdächtigt werden.

Diese Verdächtigung wird auch Racial Profiling (rassistische Profilerstellung) oder „Ethnic Profiling“ genannt und bezeichnet polizeiliche Maßnahmen und Maßnahmen von anderen Sicherheits-, Einwanderungs- und Zollbeamt*innen, wie Identitätskontrollen, Befragungen, Überwachungen, Durchsuchungen oder auch Verhaftungen, die nicht auf einer konkreten Verdachtsgrundlage oder Gefahr, etwa dem Verhalten einer Person oder Gruppe, erfolgen, sondern allein aufgrund von „äußeren“ oder ethnisierten Merkmalen, insbesondere Hautfarbe oder vermuteter Religionszugehörigkeit. Für die betroffenen Personen reichen die Folgen dieser Kontrollen von öffentlicher Demütigung bis hin zu physischen und psychosozialen Verletzungen und Krisen. Racial Profiling produziert psychischen und körperlichen Stress für Betroffene und wird dementsprechend als eine Form von Gewalt erlebt und sollte demnach unter Polizeigewalt kategorisiert werden.

Polizeikontrollen ohne konkreten Anlass, die auf „Racial/Ethnic Profiling“ beruhen, halten beispielsweise der UN-Ausschuss für bürgerliche und politische Rechte und der UN-Anti-Rassismus-Ausschuss, die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) oder die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) für menschenrechtlich unzulässig. Trotz zahlreicher Indizien und Fällen, wird Racial Profiling nicht als offiziell strukturelles Problem anerkannt und von den Polizeigewerkschaften und vielen Innenministerien der Bundesländer als Generalverdacht von sich gewiesen. Das Deutsche Institut für Menschenrechte befasst sich in seiner Studie mit der Polizeipraxis im Rahmen von „verdachts- und anlassunabhängigen“ Personenkontrollen, wie in den Paragraphen 22 und 23 des Bundespolizeigesetzes, die nicht nur in Deutschland Gegenstand von Rassismuskritik sind. „Racial Profiling“ wird dadurch rechtlich ermöglicht und eine Beschränkung des Problems auf das Fehlverhalten einzelner Polizist*innen ist haltlos, denn die Gesetze bilden die Grundlage für die Polizeipraxis der Bundespolizei. Auch das Oberverwaltungsgericht NRW hat, mit Hinblick auf den Paragraph 23 des Bundespolizeigesetzes, bereits festgestellt, dass eine ausschließliche Anknüpfung an die Hautfarbe bei polizeilichen Standardmaßnahmen wie z.B. der Identitätsfeststellung grundsätzlich nicht rechtfertigungsfähig ist und einen Verstoß gegen Artikel 3 Abs. 3 Satz 1 GG darstellt. Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat bereits in einer Studie aus dem Jahr 2013 festgestellt, dass Pragraph 22 Abs. 1a BPolG Einfallstor für selektive Personenkontrollen, die auf Kriterien wie der Hautfarbe oder anderen physischen Merkmalen eines Menschen basieren, und Ermächtigungsgrundlage für intensive Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG). Damit steht diese Vorschrift im stetigen Konflikt mit Grund- und Menschenrechten und sollte daher gestrichen werden.

Polizeigewalt und Racial Profiling in Hessen

Auch in Hessen macht institutioneller Rassismus in Form von Racial Profiling vor der Polizei kein Halt. Nach verschiedenen rechtsextremen Vorfällen und der Offenlegung rechtsextremer Netzwerke in der hessischen Polizei, wie NSU 2.0, wurde vom Landesinnenminister Beuth im letzten Jahr eine Umfrage aufgegeben, bei der Polizist*innen des Landes zu ihren Einstellungen befragt wurden und die Ergebnisse sind sehr beunruhigend. Rund 44 Prozent der Polizist*innen werden als rassistisch eingestuft und mehr als jede*r Vierte sieht die „Gefahr“, dass Deutschland ein „islamisches Land“ werde. Knapp 19 Prozent der Befragten sehen sich zusätzlich als „mäßig rechts“. Trotz dieser alarmierenden Zahlen erklärt der Hessische Innenminister Rechtsextremismus und Rassismus in der hessischen Polizei für Einzelfälle.

Zusätzlich gilt die Polizei als homogene Institution, die wenig bis keine Inklusionsstrategien für Frauen* oder BIPoCs vorbringt. Der Anteil der neu eingestellten Polizist*innen mit Migrationshintergrund liegt in den aller meisten Bundesländern unter dem Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund in der Landesbevölkerung. Laut Recherche des MEDIENDIENSTES INTEGRATION stieg in Hessen zwar der Anteil von neu eingestellten Polizist*innen mit Migrationshintergrund innerhalb von sechs Jahren von etwa 12 auf mehr als 21 Prozent, bei einem 31,1 prozentigen Bevölkerungsanteil von Menschen mit Migrationsgeschichte. Dennoch ist die polizeiliche Inklusion von BIPoCs stark ausbaufähig.

Wir brauchen daher institutionell greifende Maßnahmen auf Bundes- und Landesebene, die strukturellen Rassismus und Rechtsextremismus in der Polizei aufdecken, strukturell bekämpfen und nachhaltig für eine inklusivere und diversere Polizei sorgen. Und deshalb fordern wir:

  • Eine offizielle Anerkennung der Polizeipraxis „Racial/Ethnic Profiling“ als strukturelles Problem in Polizeibehörden.
  • Die Streichung des Paragraphen 22 Abs. 1a BPolG.
  • Verpflichtende Antirassismus-Trainings für alle Mitarbeiter*innen der Sicherheitsbehörden und Justiz, um die Sensibilisierung der Beamt*innen zu fördern.
  • Den Ausbau von Partizipationsmöglichkeiten für BIPoCs in Polizei und Justiz, um homogene Strukturen in der Polizei zu durchbrechen und die Polizei inklusiver und diverser aufzustellen.
  • Eine, wie in Hessen bereits durch Einsatz und unter Beteiligung der GRÜNEN in der Landesregierung umgesetzte, Einführung einer bundesweiten Kennzeichnungspflicht für alle Polizeibeamt*innen, um eine effektive Strafverfolgung im Falle von illegaler Polizeigewalt und polizeilichem Fehlverhalten zu ermöglichen.
  • Eine Dokumentationspflicht von Polizeikontrollen sowie der ethnischen Herkunft der Kontrollierten sowie ein Anrecht der Kontrollierte auf eine Nachweisbescheinigung nach dem Vorbild Großbritanniens.
  • Eine unabhängige kriminologische Untersuchung zu Rassismus und Rechtsextremismus von allen Polizeibehörden in Deutschland, um eine empirische Erfassung von Racial Profiling zu ermöglichen.
  • Die Einsetzung einer von der Polizei institutionell unabhängige Ermittlungsstelle, wie im Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses auf Bundesebene gefordert. Denn in Deutschland ermittelt bei Anzeigen gegen Polizisten*innen die Polizei selbst, also Kolleginnen und Kollegen der Beschuldigten. Die Staatsanwaltschaft arbeitet darüber hinaus mit der Polizei sehr eng zusammen. Dass viele Verfahren eingestellt werden, wird zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung auch mit einer institutionellen Nähe in Verbindung gebracht. Eine unabhängige Ermittlungsstelle hingegen schafft Transparenz.
  • Die Prüfung eines hessischen Antidiskriminierungsgesetzes, welches Betroffene vor Diskriminierung durch Behörden und Polizei schützen und Ansprüche auf Schadenersatz ermöglichen soll.

Beschlossen am 04.07.2020 auf dem digitalen Landesbeirat.



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