19. November 2015

LMV April 2013: Nein heißt Nein!



Menschen, insbesondere jedoch Frauen, sind in Deutschland nach wie vor stark von sexualisierter Gewalt bedroht.
Eine repräsentative Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend [1] zeigt, dass jede siebte Frau in Deutschland (13 %) strafrechtlich relevante sexualisierte Gewalt seit dem 16. Lebensjahr erlitten hat. Wird eine breitere Gewaltdefiniton angewendet, die auch schwere Formen von sexueller Belästigung einbezieht, sind es sogar 34 %. Im Jahr 2011 erfasste die Polizeiliche Kriminalstatistik des Bundeskriminalamts 7 539 Vergewaltigungsfälle. [2] Die Schätzungen zu den Dunkelziffern reichen von 80 000 bis 200 000 Fällen im Jahr.

Die Zahlen allein sprechen eine klare Sprache. Hinzu kommt, dass sexualisierte Gewalt in unserer Gesellschaft nicht nur ausgeübt wird, sie wird außerdem geduldet, kleingeredet, bagatellisiert. 47% der von sexualisierter Gewalt Betroffenen haben noch nie jemanden darüber gesprochen. Die Anteile sind noch höher, wenn der Täter der aktuelle oder früherer Beziehungspartner ist. Das ist nicht verwunderlich. Spricht eine Person über erlebte sexualisierte Gewalt, muss sie sich eher rechtfertigen, als das sie Unterstützung erfährt: ”Warst du nicht betrunken?”, ”Das hast du sicher falsch verstanden”, ”Er ist doch dein Freund, hab dich nicht so”, ”Wenn du dich so anziehst, musst du dich nicht wundern”, ”Warum hast du dich nicht richtig gewehrt?”, ”Der nette Volleyball- Trainer? – Du willst doch nur Aufmerksamkeit”.

Diese sogenannten Vergewaltigungmythen führen dazu, dass bei betroffenen Menschen hohe Hürden entstehen, sich mitzuteilen oder gar Anzeige zu erstatten. Dies dokumentieren etwa Studien und Projekte wie „Ich hab nicht angezeigt“. Kommt es doch zu einer Anzeige, mangelt es häufig auch Polizist*innen, Staatsanwält*innen und Richter*innen am notwendigen Verständnis. Schulungen, die zu Vergewaltigungsmythen sensibilisieren, sind derzeit nicht verpflichtend.

Entsprechend werden von den 80 000 bis 200 000 Vergewaltigungen pro Jahr nur rund 8000 angezeigt. [3] Nur in etwa 1000 dieser Fälle kommt es dann auch zu einer Anklage und noch weniger Angeklagte erhalten eine Freiheitsstrafe. Falschbeschuldigungen sind hingegen deutlich seltener: Verschiedene Studien kommen immer zu einem Ergebnis zwischen ein bis neun Prozent. Neben diesen gesellschaftlichen Strukturen führt auch eine rechtliche Grauzone dazu, dass nur ein Bruchteil aller Täter*innen überhaupt eine Verurteilung befürchten muss. Nach Paragraf 177 des deutschen Strafgesetzbuches sind Gewalt, Gefahr für Leib und Leben oder eine schutzlose Lage für eine Verurteilung notwendig. Ein erklärtes Nein des Opfers ist hingegen nicht ausreichend. Viel
beachtet war in diesem Zusammenhang das Urteil des Landgerichts Essen, das im September 2012 einen 31-Jährigen freisprach, der eine 15-Jährige in seiner Wohnung vergewaltigt hatte.[4]

Wir fordern deshalb:
• Die Grüne Jugend Hessen spricht sich für eine Reform des Paragrafen 177 des deutschen Strafgesetzbuches aus. In einer Neufassung sollen explizit sexuelle Handlungen gegen den erklärten Willen des Opfers unter Strafe gestellt werden.
• Die Grüne Jugend Hessen fordert verpflichtende Schulungen für Polizist*innen, Staatsanwält*innen und Strafichter*innen zu sexualisierter Gewalt und Vergewaltigungsmythen.
• Die Grüne Jugend Hessen fordert nachhaltig finanzierte Unterstützungsangebote, wie Frauenhäuser und Notrufnummern, für Betroffene von (sexualisierter) Gewalt.
• Die Grüne Jugend Hessen fordert, Präventions- und Aufklärungsarbeit zu sexualisierter Gewalt und Vergewaltigungsmythen in den schulischen Lehrplan aufzunehmen.

Diese Maßnahmen sehen wir als unerlässlich an, wenn wir eine Gesellschaft erreichen wollen, die keinerlei Platz für sexualisierte Gewalt lässt. Vergewaltigungsmythen, die Opfern von sexueller Gewalt eine Mitschuld zusprechen, müssen endlich der Vergangenheit angehören. Jeder Mensch, der in seiner sexuellen Selbstbestimmung verletzt wurde, soll in unserer Gesellschaft Recht und Hilfe erlangen können. Mit einer veränderten Rechtslage und besser ausgestatteten Hilfestellen, kann der Staat seinen Teil dazu beitragen.

[1] http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/Publikationen/publikationen,did=20560.html
[2] http://www.bka.de/nn_193232/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/PolizeilicheKriminalstatistik/65
[3] https://www.frauen-gegen-gewalt.de/tl_files/downloads/sonstiges/Streitsache_Sexualdelikte_66
[4] http://www.spiegel.de/panorama/justiz/vorwurf-der-vergewaltigung67
landgericht-essen-spricht-angeklagten-frei-a-855639.html



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