23. September 2015

GJH unterstützt gemeinsamen Appell der Grünen Jugend zur aktuellen Debatte um Geflüchtete



Appell der GRÜNEN JUGEND an Grüne in Bund und Ländern: Das Gebot der Stunde heißt: Grenzen öffnen!

Mehr als doppelt so viele Geflüchtete, wie es das Bundesinnenministerium Anfang des Jahres vorausgesagt hatte, werden dieses Jahr nach Deutschland kommen. Obwohl durch den Krieg im Nahen Osten und vor allem in Syrien schon absehbar war, dass sich weitaus mehr Geflüchtete auf dem Weg nach Europa und Deutschland machen, hat die Bundesregierung viel zu lange diese Realität nicht beachtet. Strukturelle Unterstützung des Bundes für Länder und Kommunen wurde über Jahre verweigert oder für nichtig erklärt. Nun fehlt es nicht nur an Platz in Erstaufnahmeeinrichtungen, an Unterkünften, an Betten, Nahrung, Dolmetscher*innen und Sozialarbeiter*innen und medizinischer Versorgung sondern auch schlicht an Geld, gerade für die ohnehin überschuldeten Kommunen und Länder.

Als GRÜNE JUGEND sind wir uns der Herausforderung bewusst, die Geflüchteten menschenwürdig zu versorgen und zu inkludieren und sehen darin eine der bedeutensten Aufgaben, welcher die Politik in den kommenden Jahrzehnten gegenüber steht. Als GRÜNE JUGEND unterstützen wir alle Bemühungen der Länder und Kommunen menschenwürdige Politik  durchzusetzen und die Bedingungen für geflüchtete Menschen zu verbessern. Es kann jedoch nicht sein, dass die Bundesregierung die aktuelle Finanznot vieler Bundesländer und Kommunen schamlos ausnutzt, um ihre rechtspopulistische Symbol- und Erpressungspolitik durchzusetzen. Fehlender Handlungsspielraum durch finanzielle Mittellosigkeit kann zu Ohnmacht und so auch zu einem Anstieg von rechtem Gedankengut in der Bevölkerung führen. Wir fordern deswegen entschieden von Grünen, sich dieser Erpressungspolitik der Bundesregierung nicht hinzugeben!

I. 6 Milliarden Euro sind viel zu wenig – es braucht endlich eine finanzielle Umschichtung und strukturelle Veränderungen

Die Bundesregierung will 3 Milliarden zusätzlich für „die Bewältigung der Flüchtlings- und Asylsituation“ einsetzen und 3 weitere Milliarden den Ländern und Kommunen zur Verfügung stellen. Darüber hinaus will der Bund Länder und Kommunen beim Ausbau von rund 150.000 winterfesten Plätzen in menschenwürdigen Erstaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete verstärkt unterstützen. Die Geldzahlungen sind begrüßenswert und dringend notwendig. Allerdings ist auch klar, dass diese 6 Milliarden und 150.000 winterfesten Plätze nicht die Antwort auf die Situation sein können. Wer Geflüchteten in dieser Situation wirklich helfen will, muss die bei Ländern und Kommunen anfallenden Kosten übernehmen.Dazu zeigt die Bundesregierung bisher keinen Willen. Sie nutzt die Unterfinanzierung vieler Länder und Kommunen aus, um mit diesem Geldgeschenk weitere Verschärfungen der Asylpolitik durchzusetzen. Wir fordern alle Grünen auf, bei so einer Erpressungspolitik nicht mitzumachen!

II. Eine mögliche Ausweitung der „sicheren Herkunftsstaaten“ widerspricht grüner Politik/Beschlusslage und dem Menschenrecht auf Asyl

Das individuelle Recht auf Asyl wird durch das Konstrukt der „sicheren Herkunftsstaaten“ ausgehebelt. Deshalb lehnen wir sichere Herkunftsstaaten und jede Erweiterung dieser Liste generell entschieden ab und schließen uns damit zum Beispiel der Bundesdelegiertenkonferenz von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im letzten Herbst an. Auch die (stellvertretenden) Ministerpräsident*innen haben sich aus diesem Grund in ihrer „Gemeinsame(n) Erklärung zur aktuellen Lage in der Flüchtlingspolitik“ erst im August wie folgt positioniert:

„Von der Idee, weitere Länder als sichere Herkunftsländer auszuweisen, sind wir nicht   überzeugt.“1)

Nur etwas als einen Monat später nun dieses Papier und diese Positionierung ad acta zu legen, zeugt nicht von glaubwürdiger und durchhaltefähiger Politik. Wir fordern deswegen Grüne auf, der Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten nicht zuzustimmen und Rückgrat in der eigenen Politik zu beweisen.

Gerade die von der Bundesregierung gewollte Einstufung des Staates Kosovo in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten zeigt die Absurdität dieses Konstrukts besonders deutlich. Der Kosovo ist ein bis heute noch nicht von allen Mitgliedsstaaten der EU anerkannter Staat, weshalb ihm notwendige finanzielle Unterstützung nicht in dem benötigte Maße zu kommen kann. Darüber hinaus sind bis heute knapp 700 Bundeswehrsoldat*innen im Kosovo stationiert. Eigene Soldat*innen zur Wahrung der Sicherheit in einem anderen Staat zu stationieren und dieses Land gleichzeitig als „sicher“ zu bezeichnen, widerspricht sich fundamental.

Die Ausweisung sicherer Herkunftsstaaten ist nichts anderes als bloße Symbolpolitik gegen Geflüchtete, die in der derzeitigen Lage keinerlei positiven Beitrag leisten kann.

III. Einführung von Sachleistungen in Erstaufnahmeeinrichtungen ist reinster Populismus und bürokratischer Irrsinn 

Die Bundesregierung schürt mit ihrem Maßnahmenpaket eine Spaltung und Rechtspopulismus in  der deutschen Gesellschaft. Jetzt ist es notwendig, ankommende Geflüchtete möglichst schnell eine menschenwürdige Unterbringung hier zu gewährleisten und den politischen Fokus auf dessen Umsetzung zu setzen. Stattdessen möchte die Bundesregierung Sachleistungen in Erstaufnahmeeinrichtungen einführen, wobei ungeklärt ist, was daran sinnvoll sein soll und für wen. Die Einführung von Sachleistungen ist nicht nur für Geflüchtete diskriminierend und spricht Ihnen ihr Selbstbestimmungsrecht ab.

Die Forderung Geldleistungen durch Sachleistungen in Erstaufnahmeeinrichtungen zu ersetzen, bedient schlicht Ressentiments gegen Geflüchtete. Auch die Grünen setzen wie wir seit je her für die Abschaffung des Asylbewerber*innenleistungsgesetzes ein. Jetzt der Einführung von Sachleistungen in Erstaufnahmeeinrichtung zuzustimmen, widerspricht dieser Forderung und konterkariert jahrelange Bemühungen in dieser Richtung. 

IV. Die Ausweitung der Aufenthaltsdauer von 3 auf 6 Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen ist menschenunwürdig

Erstaufnahmeeinrichtungen sind Gebäude mit Schlafsälen für viele Personen, meist von Polizei überwacht und eingezäunt. Geflüchtete müssen meist in überfüllten Unterkünften wohnen, mit mangelnder hygienischer Versorgung und ohne Privatssphäre. Die Unterbrindungsdauer in solchen Gebäuden unter solchen menschenwürdigen Umständen jetzt von 3 auf 6 Monate hinaufzusetzen, lehnen wir ab und ist für uns eine hilfelose Antwort der Bundesregierung auf die aktuelle Situation. Stattdessen braucht es endlich Förderungsprogramm für Wohnungsbau, insbesondere für Sozialwohnungen,  oder Beschlagnahmungen spekulativ leerstehender Wohnungen, wie z.B. in Berlin gefordert und Umwidmungen leerstehender Gebäude, damit genügend Wohnraum entsteht.

V. Streichung von Leistungen für Geflüchtete ist soziale Entrechtung

Die Bundesregierung will Geflüchtete, die über weitere EU-Staaten nach Deutschland einreisen,  in die Obdachlosigkeit schicken: Zuersten sollten alle Geflüchtete keine Bezüge aus dem Asylbewerber*innenleistungsgesetz erhalten, die unter die Dublin-III-Verordnung fallen und für deren Asylantrag ein anderer Mitgliedstaat zuständig ist, jetzt ist der Vorschlag die Leistungen zu Kürzen.

Der Gesetzesentwurf untergräbt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das Gericht hatte 2012 in einem Urteil entschieden, dass die Menschenwürde migrationspolitisch nicht relativierbar ist2). Ein Absenken der Sozialleistungen unter das soziokulturelle Existenzminimum ist mit dem Verfassungsrecht unvereinbar. Grüne dürfen solche Verfassungsbrüche nicht einfach mittragen!

Liebe Grüne, lasst euch nicht erpressen und sagt „Nein“ zu einem Maßnahmenpaket mit diskriminierenden und rassistischen Forderungen! Mit solchen Forderungen wird Geflüchteten nicht geholfen, sondern sie auf Dauer ausgegrenzt, stigmatisiert und menschenunwürdig behandelt. Liebe Grüne, lasst euch von dieser Erpressungspolitik der Bundesregierung  nicht einschüchtern. Nutzt eure Möglichkeiten, zeigt Haltung und setzt euch für strukturelle Veränderungen in der Geflüchtetenpolitik, die Geflüchteten wirklich helfen, ein. Deshalb fordern wir euch auf: Stimmt gegen und verhindert diesen Vorschlag der Bundesregierung!

Hoffnungsvolle Grüße,

der Bundesvorstand der GRÜNEN JUGEND

Landesvorstände

1) Hier der Link zum Papier der (stellv.) Ministerpräsident*innen: http://docs.dpaq.de/9474-gemeinsame_erkl_rung_zur_aktuellen_lage_in_der_fl_chtlingspolitik__2_.pdf

2) https://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/ls20120718_1bvl001010.html

 



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