3. April 2022

LMV April 2022: Für ein ganzheitliches Verständnis von Sicherheit



Die Grüne Jugend Hessen verurteilt aufs Schärfste den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Ein solcher völkerrechtswidriger Krieg ist durch nichts zu rechtfertigen. Wir befürworten die Unterstützung der ukrainischen Gesellschaft mit Hilfsgütern. Auch eine Lieferung von Defensivwaffen kann zur akuten Notwehr vertretbar sein, wenngleich die Ambiguität ausgehalten werden muss, dass Waffen auf lange Sicht zu noch mehr Gewalt führen. Das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung ist jedoch anzuerkennen.


Die letzten Wochen zeigen eine Kehrtwende in der Außen- und Sicherheitspolitik, wie wir sie uns vorher nicht hätten vorstellen können. Zwar stiegen die Militärausgaben schon vorher von 33,3 Mrd. in 2005 auf 52,8 Mrd. Dollar in 2020, dennoch wurde für weltweite Abrüstung plädiert. Das änderte sich mit Scholz‘ Erklärung, der Bundeswehr einmalig 100 Mrd. Euro als Sondervermögen zur Verfügung zu stellen und von nun an das 2%-Ziel zu erfüllen. Diese Entwicklung steht natürlich nicht im luftleeren Raum, sondern als Reaktion auf Putins Angriffskrieg auf die Ukraine. Dieses einseitige Sicherheitsverständnis in Tradtion der Denkschule des Realismus, welches nur militärische Sicherheit mit einbezieht, kritisieren wir scharf.


Dass die Soldat*innen bei der Bundeswehr eine gute Ausrüstung brauchen, ist selbstverständlich. Jedoch fehlt es der Bundeswehr nicht an Geld, sondern an einem schnellen, organisierten und strukturierten Beschaffungssystem. Auch zählt der Bundesrechnungshof regelmäßig fragwürdige Ausgaben der Bundeswehr auf. Rüstungsprojekte werden zu spät, zigfach verteuert und nur begrenzt einsatzfähig geliefert. All diese Missstände werden nicht durch zusätzliches Geld für die Bundeswehr oder der Erfüllung des 2%-Ziels allein behoben. Auch den Menschen in der Ukraine wird durch akute Hilfe, aber nicht durch eine langfristige Hochrüstung der Bundeswehr geholfen. Die schon jetzt im Vergleich zu Russland viel höheren Militäretats der NATO-Länder haben Russland trotzdem nicht von diesem Angriff abgehalten.Waffen allein gewährleisten keine Sicherheit. Wir fordern deshalb ein sehr viel weiter gedachtes, feministisches Sicherheitsverständnis.


Sicherheit bedeutet nicht nur Sicherheit vor militärischen Angriffen (durch militärische Maßnahmen), sondern auch Sicherheit vor Armut und anderer struktureller Gewalt sowie pandemische bzw. gesundheitliche und ökologische Sicherheit, um nur einige Aspekte zu nennen. Aufrüstung bietet für all diese Aspekte keine Lösung. Uns stehen mit den Folgen der Corona-Pandemie, der Klimakrise und auch des russischen Angriffskriegs hohe Kosten bevor. Nun 100 Mrd. Euro in die Bundeswehr zu stecken, fördert im Zweifelsfall vor allem die deutsche Rüstungsindustrie und riskiert, wirkungslos zu sein und das Geld an anderen Stellen fehlen zu lassen.

Wichtig ist stattdessen, einen größeren Fokus auf humanitäre Hilfe, Diplomatie, Zivilschutz und Entwicklungszusammenarbeit zu legen. Wir brauchen eine nachhaltige Entwicklung und mehr Klimaschutz, die oben genanntes Sicherheitsverständnis abdecken, denn z.B. die Klimakrise sorgt schon jetzt für Hungersnöte und wird Konflikte in Zukunft noch verstärken. Effektiver Klimaschutz bedeutet auch Energiesouveränität in Form von Erneuerbaren Energien. Wir müssen den Ausbau Erneuerbarer Energien viel stärker vorantreiben, um endlich unabhängig von fossilen Energieträgern zu werden. Dazu gehört auch ein Importstopp von russischem Gas und Öl. Im Moment zahlen die EU-Staaten zusammen jeden Tag etwa eine Milliarde Euro an Russland. 55% des importierten Gases nach Deutschland stammen aus Russland, 50% der importierten Kohle und 35% des importierten Rohöls. Diese Abhängigkeit von Russland haben wir uns selbst bzw. früheren Regierungen aus SPD und CDU/CSU zuzuschreiben. In 16 Jahren CDU geführter Regierung wurde nicht nur eine Politik der Anbiderung gegenüber Putin betrieben, sondern auch der Ausbau der Erneuerbaren Energien stark gebremst. Die deutsche Solarenergiewirtschaft stand zwischendurch knapp vor dem vollständigen Ruin. Stattdessen haben wir uns selbst abhängig gemacht von fossilen Energieimporten, etwa aus Russland. Aufgrund dessen ist ein Importstopp von russischem Gas und Öl nicht ohne Schwierigkeiten machbar, nötig ist er dennoch und zwar so schnell wie möglich. Es darf nicht sein, dass wir tagtäglich Unsummen zahlen für Produkte, die unsere Lebensgrundlage zerstören, und einen völkerrechtswidrigen Krieg finanzieren. Wichtig ist dabei, soziale Maßnahmen gemeinsam mit einem Importstopp zu beschließen. Schon jetzt steigen die Energie-
und Lebenshaltungskosten massiv.Weitere Kostensteigerungen werden folgen. Die Versäumnisse vorangegangener Bundesregierungen in Bezug auf Energiesicherheit dürfen nicht auf die Ärmsten dieser Gesellschaft abgewälzt werden. Dafür muss auch die Schuldenbremse fallen, die realitätsfern einen ausgewogenen Haushalt höher priorisiert als Investitionen in unsere Zukunft und für die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen.

Durch den Angriff auf die Ukraine, die Kornkammer Europas, sind die weltweiten Preise für Getreide, Mais und Speiseöl dramatisch gestiegen. Zusätzlich können aufgrund der geschlossenen Häfen die eingelagerten Getreidevorräte nicht verschifft werden, was zu Problemen in den Abnehmerländern führt. In einigen Ländern des globalen Südens gibt es einen akuten Mangel an Nahrungsmitteln. Diesen müssen wir durch erhöhte Zahlungen an das World Food Programm unterstützen, sowie die gerechte Verteilung von Getreide weltweit unterstützen. Die gestiegenen Preise von Lebensmitteln können sich nicht alle Länder und Bevölkerungen leisten. Wir müssen die Länder unterstützen bspw. Subventionen für Brotpreise stemmen zu können ohne in eine weitere Verschuldungsspirale zu kommen. Auch der Ankauf von Getreide für die kommenden Monate muss unterstützt werden. Die EU und Deutschland müssen für eine agrarökologische Transformation eintreten, die Abhängigkeitsstrukturen auflöst und lokale Produzent*innen und Produkte unterstützt. In der Krisenbewältigung muss auf die Bedürfnisse der unterschiedlichen Staaten und deren Problemlagen eingangen werden. Gemeinsam mit den betroffenen Ländern und deren Zivilgesellschaft müssen wir kurzfristig und langfristig Ernährungssouveränität herstellen.

Putins Krieg und dessen Folgen zeigen deutlich auf, dass Energiesouveränität ein wichtiger Bestandteil von Sicherheit ist. Denn Sicherheit hat, wie oben angesprochen, verschiedene Aspekte. Diese Aspekte gilt es zu beachten. Ein einseitiger Fokus auf militärische Sicherheit ist nicht zielführend und wird daher von uns abgelehnt.

Im Herbst 2020 hat die Grüne Jugend Hessen einen Beschluss getätigt, sich für eine Feministische Außenpolitik einzusetzen. Diesen Beschluss bekräftigen wir heute erneut.Wir setzen uns für eine weltweite Abrüstung ein, denn Waffen führen immer zu mehr Gewalt. Eine Aufrüstung in Deutschland hilft auch der ukrainischen Gesellschaft nicht. Statt Abschreckung muss weiterhin Diplomatie (und damit verbunden die Deeskalation) das wichtigste Mittel der Außenpolitik bleiben.Wir brauchen eine Stärkung von Menschenrechtsorganisationen und einen Fokus auf menschliche Sicherheit.

Die menschliche Sicherheit ist durch den Krieg natürlich stark gefährdet. Die Bundesregierung muss daher alles tun, um Geflüchteten zu helfen. Wir unterstützen die von der Bundesregierung eingesetzte Luftbrücke zur Aufnahme von Ukrainerinnen, sowie Drittstaatlerinnen, die aus diesem Land vor Krieg fliehen mussten. Zusätzlich soll sich das Land Hessen dafür einsetzten, ukrainischen Kindern und Jugendlichen eine schnelle Integration in das Schulsystem zu ermöglichen. Es ist jetzt besonders wichtig den hilfsbedürftigsten, nämlich Kindern, wieder ein geordnetes Leben zu ermöglichen und ihnen wieder eine Perspektive für die Zukunft zu geben.

Beschlossen am 03.04.2022 auf der Landesmitgliederversammlung in Wetzlar



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