18. November 2021

LMV November 2021: Nazis raus aus den Sicherheitsbehörden!



Im Juni dieses Jahres wurde das Spezialeinsatzkommando (SEK) der hessischen Polizei aufgelöst. Grund dafür sind Ermittlungen gegen 20 SEK-Polizist*innen, die in Chats volksverhetzende Inhalte geteilt haben sollen. Die Nachrichten offenbaren eine „abgestumpfte, diskriminierende Haltung und teils rechtsextreme Gesinnung“, sagte der CDU-Innenminister Beuth.

Dieser Polizeiskandal reiht sich ein in eine lange und immer länger werdende Liste von rechtsextremen Vorkommnissen in den deutschen Sicherheitsbehörden. In der Polizeidirektion Osnabrück gibt es sechs Verdachtsfälle auf „rechtsextreme Gesinnung“ in den eigenen Reihen, bei der Berliner Polizei laufen 47 Disziplinarverfahren wegen des Verdachts auf rechtsextremistische oder rassistische Äußerungen, in Mühlheim an der Ruhr wurden mehr als 20 Polizist*innen suspendiert, nachdem mehrere WhatsApp-Gruppen aufgeflogen waren, in denen teilweise rechtsextreme und rassistische Inhalte ausgetauscht wurden, eine Polizistin aus einem Revier der Polizeiinspektion Dessau-Roßlau soll mehr als zehn sympathisierende Briefe an den Attentäter auf die Synagoge in Halle geschrieben haben, zwei Ex-Bundeswehrsoldaten wollten mutmaßlich eine Söldnertruppe von bis zu 150 Personen aufbauen, die Huthi-Rebellen im Jemen angreift.

All diese Skandale sind nur innerhalb eines einzigen Jahres öffentlich geworden und stellen mit Sicherheit nur die Spitze des Eisberges rassistischer und menschenverachtender Überzeugungen in den deutschen Sicherheitsbehörden dar. Selbst der Militärische Abschirmdienst (MAD) zeigt sich besorgt über die auf hohem Niveau verstetigte Anzahl an Verdachtsfällen wegen Rechtsextremismus in der Bundeswehr, derzeit bearbeitet die Behörde etwa 1200 Fälle im Bereich Rechtsextremismus einschließlich der Kategorie Reichsbürger und Selbstverwalter.

Es ist klar: Die deutschen Sicherheitsbehörden haben ein Nazi-Problem.

Das ist mit Blick auf den autoritären Charakter der Arbeit auch nicht überraschend; Berufsfelder mit starken Hierarchien und autoritärem Führungsstil ziehen Menschen an, die einen autoritären Staat wollen oder sogar aktiv daran arbeiten.

Das ist für viele Menschen in Deutschland eine lebensbedrohliche Gefahr. Diese Gefahr hat unterschiedliche Dimensionen. Die akuteste ist, dass sich Polizist*innen, Soldat*innen und Mitarbeiter*innen der Nachrichtendienste durch ihre Arbeit von anderen Bürger*innen unterscheiden: Sie haben die Befugnis und die Befähigung, das Gewaltmonopol des Staates auszuüben. Sie verfügen über Informationen, die über verschiedene Bürger*innen und Gruppen gesammelt wurden, sie haben Zugriff auf Waffen und Munition und sind in der Ausübung von Gewalt mit und ohne Waffe ausgebildet.

Klar sein muss: Wir müssen Rechtsextremismus immer und überall bekämpfen! Ob Dorf, Stadt oder Provinz. Es gibt kein ruhiges Hinterland!

Klar benennen müssen wir aber auch, dass Nazis in Sicherheitsbehörden ein ganz besonderes Problem darstellen. Rechtsextreme, die legal eine Waffe tragen dürfen und Zugriff auf sensible Personendaten haben, sind eine ganz spezielle Gefahr, die bekämpft werden muss!

Forderungen, wie Rassismus und Rechtsextremismus in der hessischen Polizei bekämpft werden muss, wurden bereits auf dem digitalen Landesbeirat der GRÜNEN JUGEND Hessen 2020 aufgestellt. Diese Forderungen müssen – auch in Hinblick auf die seitdem öffentlich gewordenen Skandale – noch einmal in aller Deutlichkeit bekräftigt werden. Rassist*innen und Rechtsextreme müssen so schnell wie möglich aus dem Dienst entlassen werden! Dafür reicht es nicht aus, wenn ein Kommando aufgelöst wird, die suspendierten Polizist*innen jedoch an anderer Stelle ihren Dienst wieder antreten.

Die GRÜNE JUGEND Hessen befürwortet, dass sich eine Expert*innenkommission mit den Problemen bei der hessischen Polizei beschäftigt hat. In ihrem Abschlussbericht fordert diese eine Verschärfung der Dienstvorschriften und des Disziplinarrechts, sodass sich Polizist*innen jederzeit aktiv für die Bekämpfung von Neonazismus und Rechtsextremismus einsetzen müssen und die Verherrlichung des NS-Regimes als schweres Dienstvergehen sanktioniert wird. Weiterhin wird eine Regelanfrage bei Bewerber*innen vorgeschlagen, sodass Personen, die dem Verfassungsschutz wegen rechtsextremer oder neonazistischer Vergangenheit bekannt sind, der Zugang in den Polizeidienst verwehrt wird. Diesen Forderungen schließen wir uns an.

Wir begrüßen die Einführung eines oder einer unabhängigen Bürger- und Polizeibeauftragten in Hessen. Eine solche Stelle ist ein wichtiger Schritt zur Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus in der Polizei. Dennoch teilen wir die Kritik einiger zivilgesellschaftlicher Organisationen, dass die gegebenen Kompetenzen für unabhängige Ermittlungen unzureichend sind. Nötige Kompetenzen wären beispielsweise das Recht auf Akteneinsicht oder die Vorladung von Zeug*innen, diese sind jedoch nicht gegeben. Wir fordern daher, die Kompetenzen der oder des Bürger- und Polizeibeauftragten so auszuweiten, dass tatsächlich unabhängige Ermittlungen möglich sind.

Das Rechtsextremismus-Problem deutscher Sicherheitsbehörden erstreckt sich aber nicht allein auf die Polizei, auch bei der Bundeswehr reihen sich die Skandale. Vor allem hier gilt: Die autoritäre und stark hierarchische Struktur der Bundeswehr begünstigt Rassismus und Rechtsextremismus. Sie zieht außerdem Menschen an, die einem autoritären Staat positiv gegenüberstehen. Daher schließen wir uns klar der Forderung an, die die GRÜNE JUGEND auf ihrem 52.Bundeskongress getroffen hat: Der Bundeswehr muss der autoritäre Charakter genommen werden. Das harte Bestrafungssystem und quälende Ausbildungsmethoden dürfen nicht mehr angewendet werden. Gleichzeitig müssen bestehende Fälle von Rechtsextremismus sowie rechtsextreme Strömungen und Netzwerke konsequent aufgearbeitet werden. Zu lange wurden rechtsextreme Strukturen in der Bundeswehr ignoriert oder als Einzelfälle dargestellt. Das muss ein Ende haben! Rechtsextremismus ist und war niemals ein Einzelfall!

Die bestehende Tendenz des „Übersehens“ und der Verharmlosung von Rechtsextremismus liegt auch an den strukturellen Problemen von Verfassungsschutz und Militärischem Abschirmdienst (MAD). Der MAD besteht zu großen Teilen aus ehemaligen Soldat*innen und Mitarbeiter*innen des Verteidigungsministeriums. Eine unabhängige, neutrale Bewertung ist dadurch nicht möglich. Auch hier wurden auf dem 52.Bundeskongress der GRÜNEN JUGEND Forderungen gestellt, denen wir uns anschließen und die wir bekräftigen: Der MAD muss aufgelöst werden. Die Bekämpfung menschenfeindlicher Tendenzen soll in Zukunft durch eine Kooperation einer zu schaffenden Sonder-Anwaltschaft, dem wissenschaftlichen Institut zur Analyse diskriminierender Gewalt und menschenfeindlicher Strukturen und den allgemeinen Sicherheitsbehörden erfolgen. Die restlichen Aufgaben des MAD können in die allgemeine Zuständigkeit der Bundeswehr überführt werden.

Auch der Verfassungsschutz hat in der Vergangenheit in vielen Fällen im Zusammenhang mit Rechtsextremismus nicht zur Aufklärung beigetragen. Stattdessen ist der Verfassungsschutz „auf dem rechten Auge blind“ und finanziert rechtsextreme Strukturen teilweise sogar mit. Beispiele dafür sind neben vielen anderen der Fall des NSU und das NPD-Verbotsverfahren 2001 bis 2003, bei dem sich herausstellte, dass der nordrhein-westfälische Landesverband der NPD durch vom Verfassungsschutz bezahlte V-Personen gelenkt wurde. Neuere Skandale wie der um Hans-Georg Maaßen reihen sich ein.

Der Verfassungsschutz ist im Kampf gegen Rechtsextremismus zu oft gescheitert und dementsprechend in dieser Form nicht mehr haltbar. Das zeigen nicht nur etliche Skandale, sondern auch die Tatsache, dass er sein Handeln weiterhin auf die wissenschaftlich widerlegte und praktisch untaugliche Hufeisentheorie stützt. Durch diese Theorie werden rechte und linke Einstellungen ebenso wie Gruppen gleichgesetzt und als demokratiegefährdend eingestuft. Durch den Gebrauch einer solchen Theorie werden linke Aktivist*innen kriminalisiert und Rechtsextremismus verharmlost. Dass sich diesbezüglich beim Verfassungsschutz nichts geändert hat, beweist auch die 2020 vom Berliner Verfassungsschutz vorgenommene Einstufung von Ende Gelände als linksextremistisch. Versuche, den Verfassungsschutz grundlegend zu reformieren, sind gescheitert.

Die GRÜNE JUGEND Hessen bekräftigt daher den auf dem 54.Bundeskongress der GRÜNEN JUGEND gefassten Beschluss: Die Verfassungsschutzämter sind in ihren jetzigen Strukturen nicht tragbar und müssen grundlegend transformiert werden. Die GRÜNE JUGEND Hessen wird im nächsten Jahr einen Prozess vorantreiben, um alternative Visionen für Sicherheitsstrukturen zu entwickeln, die transparenter und demokratisch-kontrollierbarer sind und die Bemühungen zivilgesellschaftlicher antifaschistischer Akteur*innen besser aufgreifen und unterstützen, denn letztere leisten schon jetzt im Kampf gegen Rechtsextremismus einen erheblichen Teil der Aufklärungs- und Entlarvungsarbeit von rechten Netzwerken.

Zu lange haben sich Rechtsextreme unbehelligt und teilweise durch staatliche Institutionen geschützt in den deutschen Sicherheitsbehörden bewegt. Das nehmen wir nicht länger hin! Wir fordern die kommende Bundesregierung auf, den Kampf gegen Rechtsextremismus endlich zu einer Priorität zu machen!

 

Beschlossen am 07.11.2021 auf der Landesmitgliederversammlung in Frankfurt.



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