Unsere Generation wächst in einer Zeit multipler Krisen auf: die eskalierende Klimakrise, zunehmende soziale Ungleichheit, ein nicht funktionierendes Rentensystem, wachsende Unsicherheit im Bildungssystem und ein Staat, der soziale Absicherungen immer weiter abbaut. Viele junge Menschen haben während der Coronazeit starke Einschnitte in ihrem Leben in Kauf genommen, um solidarisch mit vulnerablen Gruppen zu sein. Gleichzeitig erleben junge Menschen, wie ihre Perspektiven im politischen Diskurs kaum vorkommen und ihre Anliegen nicht angemessen repräsentiert werden. Statt unsere Lebensrealitäten anzuerkennen, wird jetzt wieder der Ruf nach einem Pflichtjahr laut. Doch ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr löst keine Probleme, es schafft neue.
Die Idee eines verpflichtenden Gesellschaftsjahres fügt sich in dieses Muster ein: Erneut entscheidet man über junge Menschen, statt mit ihnen. Und statt junge Menschen zu stärken, wird ihnen mangelndes Engagement unterstellt. Dabei tragen gerade sie in Vereinen, Initiativen, Bewegungen und im Alltag längst überdurchschnittlich stark dazu bei, unsere Gesellschaft zusammenzuhalten und das oft unbezahlt, oft unsichtbar und meist ohne die Unterstützung, die sie verdienen.
Gerade in Zeiten steigender Mieten, unsicherer Ausbildungsbedingungen und sinkender Reallöhne wäre ein Pflichtjahr für viele keine „Chance“, sondern eine zusätzliche Belastung. Statt den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, würde es soziale Ungleichheiten weiter verschärfen. Menschen in prekären Lebenslagen werden dabei kaum mitgedacht. Viele dieser jungen Menschen sind auf ein eigenes Einkommen angewiesen oder tragen früh Verantwortung in ihren Familien. Für sie wäre ein verpflichtendes Jahr keine Möglichkeit, sich zu entfalten, sondern ein weiterer Einschnitt in ihrer Selbstbestimmung. Während privilegierte Jugendliche sich ein Jahr unbezahlte oder schlecht bezahlte Arbeit leisten können, würde ein Pflichtjahr Menschen in prekären Lebenslagen enorm belasten und so die soziale Spaltung unter jungen Menschen verschärfen.
Viel zu oft scheitert der Wunsch nach einem Freiwilligendienst daran, dass die schlechte Bezahlung unvereinbar ist mit der eigenen finanziellen Situation oder weil es keine geeigneten Orte für Engagement in Wohnnähe gibt. Echte Teilhabe braucht deshalb keine Pflicht, sondern sozial verträgliche Strukturen: faire Bezahlung, gute Rahmenbedingungen, einen Rechtsanspruch auf einen Freiwilligendienst und Anerkennung für Engagement – unabhängig vom Geldbeutel oder Herkunft. Wir wollen eine Gesellschaft, in der sich Menschen freiwillig engagieren, weil sie es können und wollen, nicht weil sie müssen. Dabei darf gesellschaftliches Engagement nicht allein von jungen Menschen getragen werden. Freiwilligendienste und Berufstätigkeit dürfen nicht in einem Widerspruch stehen, sondern es braucht genug Flexibilität im Berufsleben, um eine Vereinbarung mit gesellschaftlichem Engagement zu ermöglichen.
Auch die Forderungen nach einer Wiedereinführung der Wehrpflicht lehnen wir entschieden ab. Unsere Demokratie steht unter Druck – durch Putins Angriffskrieg, durch autoritäre Bewegungen und durch den Aufstieg der Rechten – und muss verteidigt werden. Aber Wehrhaftigkeit entsteht nicht durch Zwang, sondern durch eine hochwertige und nachhaltige Ausbildung von Soldat*innen. Es braucht eine gut ausgestattete Bundeswehr mit fairen Arbeitsbedingungen. Und darum muss sich die Bundesregierung kümmern, nicht wir junge Menschen. Bevor man über neue Pflichten für ganze Jahrgänge spricht, muss analysiert werden, warum so viele Soldat*innen die Bundeswehr verlassen und ihren Dienst nicht verlängern.
Außerdem ist es zu kurz gedacht, unsere Wehrhaftigkeit allein an unseren militärischen Kapazitäten zu bemessen. Zu einer wehrhaften Gesellschaft gehören auch Bürger*innen, die sich für die Demokratie einsetzen, in Freiwilligendiensten unsere systemrelevante Infrastruktur aufrechterhalten und im Katastrophenschutz unsere Sicherheit garantieren.
Die aktuellen Versuch, mehr Akzeptanz für die Wehrpflicht zu gewinnen, indem man die Wehrpflicht auch für Frauen verlangt, lehnen wir ebenfalls ab. Die Debatte blendet nicht nur systematisch TINA*-Personen komplett ab. Eine solche Wehrpflicht würde außerdem nicht zu mehr Gleichberechtigung führen, sondern bestehende Ungleichheiten verstärken. Frauen leisten heute ohnehin pro Woche rund 6 Stunden mehr unbezahlte Care-Arbeit als Männer. Eine Wehrpflicht für Frauen, die im Fall einer Verweigerung auch einen Zivildienst leiten müssten, würde diese Schieflage nicht ausgleichen, sondern verfestigen. Wirkliche Gleichberechtigung entsteht, wenn Care-Arbeit gerecht verteilt wird und soziale Berufe angemessen anerkannt und entlohnt werden – und nicht durch Zwangsdienste.
Die GRÜNE JUGEND Hessen fordert daher:
- Die klare Ablehnung eines verpflichtenden Gesellschaftsjahres.
- Die gesetzliche Verankerung eines Rechtsanspruchs auf Förderung von Freiwilligendiensten.
- Ein staatlich finanziertes Freiwilligengeld auf BAföG-Niveau für alle Freiwilligendienste.
- Kostenfreie, niedrigschwellige und proaktive Beratungs- und Informationsangebote zu Freiwilligendiensten für alle Schulabgänger*innen.
- Den konsequenten Ausbau und die faire Finanzierung bestehender Freiwilligendienste, um Engagement für alle unabhängig von Einkommen, Elternhaus oder Herkunft zu ermöglichen.
- Keine Wiedereinführung der Wehrpflicht, weder für Männer noch für Frauen und stattdessen eine verbesserte Aus- und Weiterbildung für Berufssoldat*innen
- Maßnahmen zur besseren Vereinbarung von Berufsleben und freiwilligem Engagement.
- Vereinheitlichung von Regelungen zur Anerkennung von Freiwlligendiensten im Bewerbungsverfahren für ein Studium, durch Bonuspunkte während des Bewerungsverfahren sowie Vorrang bei Plätzen bei gleicher Qualifikation.
- Stärkung ehrenamtlicher Strukturen innerhalb der Frewilligendienste damit Freiwillige innerhalb der Politik eigenständig für ihre Belange einstehen können.